Das Schwein, das Caruso so liebt.
FFF'09: THE CHILDREN (Tom Shankland, Großbritannien 2008)
Ich habe mich jetzt zwei Stunden vor dem Eintrag gedrückt, weil ich CHILDREN eigentlich nicht mit einer kurzen Notiz abfrühstücken will. Viel zu komplex ist das Figurengerüst, das auf dem minimalistischen Plot aufbaut, und viel zu effektiv außerdem die Ästhetik, als dass ich das gerne mit einem lakonischen "creepy" kommentieren möchte. Ich bin jedenfalls einigermaßen überzeugt, dass Shankland auch einen ernstzunehmenden Horrorfilm über Wurstbrote hinbekommen könnte. Der Grusel, die Bedrohung, die von den Kindern ausgeht, entsteht schon weit vor der Eskalation, und diese Affekte produzieren sich einzig aus der Inszenierung. Schnelle Schnitte, eine leicht überdrehte Tonspur, ein basslastiger und gerne mal disharmonischer Score, demgegenüber eine trügerisch ruhige Kameraführung - all das trägt dazu bei, die Situation dieses vermeintlich heilen Familienfests schon vor den Morden als höchst unangenehm zu empfinden. Dazu trägt auch die etwas seltsame Idee bei, auch unter den Erwachsenen keine wirkliche Identifikationsfigur zu präsentieren, und ihre Beziehungen untereinander unterschwellig brodeln zu lassen. Zwischen ihnen und den Kindern steht - nicht nur hinsichtlich ihres Alters - die adoleszente Casey, ein vielleicht 16-jähriges und sehr un-vielleicht pubertierendes Mädchen, und es ist wohl auch ihre Perspektive, die der Film am ehesten einnimmt. Sie vereint einen distanzierten, emotional noch nicht beeinträchtigten Blick auf die mörderischen Kinder mit einer mindestens ebenso großen Distanz zur Elterngeneration, und es ist wohl auch kein Zufall, dass ausgerechnet ihre Mutter - zu der sie offenbar ein gutes Verhältnis hat - als einzige Erwachsene wenigstens ansatzweise sympathisch erscheint. Auf der anderen Seite bringt diese Zwischenposition aber auch eine gefährliche Rohheit mit sich: Die Besessenheit oder Krankheit, die von den Kindern Besitz ergreift, scheint vom umgebenden Wald auszugehen, und jedenfalls ist es eine ungestüme Prä-Zivilisiertheit, welche die Kinder letztlich zu ihrem diabolischen Treiben anleitet. Auf der anderen Seite ist das Planleben der Eltern, bei denen jede Handlung sinnvoll und vernünftig sein muss, und das zielgerichtete Leben Priorität bekommt - was sie natürlich auch mit einer entsprechenden Erwartungshaltung an die Kinder verbinden. Casey ist noch längst nicht erwachsen, aber dem skurril-selbstbezogenen Spiel der Kinder doch längst entwachsen. Zwiespältig ist also auch, wie sie von dem dämonischen Einfluss betroffen ist - ihre Reaktionen auf das Geschehen schwanken zwischen elterlicher Ratio und kindlichem Trieb zur Gewalt. Shankland illustriert diesen Umstand einmal mit einer bemerkenswerten Ellipse, zwischen Caseys Erkenntnis, dass ihre älteste Halbschwester offenbar ebenfalls betroffen ist, und einem unerklärlichen Gewaltausbruch ihr gegenüber - wie es zu dieser Eskalation kam, bleibt ungeklärt. Auch das Verhalten der Kinder ihr gegenüber ist zweideutig: Mal sehen sie in ihr den erwachsenen Feind, später dann wird sie wieder unerklärlicherweise verschont, ist potentielle Spielkameradin.
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Ich breche hier ab. THE CHILDREN ist viel zu komplex, um ihn in einem kurzen FTB-Eintrag einigermaßen umfassend zu besprechen. Jedenfalls ist er aber noch vor CARRIERS mein bisheriges Festival-Highlight.

Etwas ausführlicher ist es noch im F.LM-Podcast zu hören.
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FFF'09: A FILM WITH ME IN IT (Ian Fitzgibbon, Irland 2008)
Kennt man Einen, kennt man Alle. Einer, das wäre in diesem Fall sowas wie VERY BAD THINGS oder SERIAL LOVER oder dieses Ding mit Harvey Keitel und Cameron Diaz, dessen Name mir grade nicht einfallen will. Eben Filme mit lustigen Zufallsmorden, die der völlig ratlose Protagonist dann verzweifelt vertuschen will, was ihm schlussendlich dank seiner prinzipiellen Unschuld natürlich auch gelingt. Im Grunde ein sehr simpel-zynisches Konzept, das gleichzeitig bei all der behaupteten Boshaftigkeit (Warum gilt "schwarzer Humor" eigentlich so oft als böse? Eigentlich ist das doch oft genug lammfromm, was wir in solchen Filmen zu sehen bekommen...) irgendwie auch puristisch verweigert, mal echte Tabus zu brechen. A FILM WITH ME IN IT ist da keine Ausnahme, und als solche nicht einmal ein besonders bemerkenswerter Vertreter seiner Art. Sicher, da ist vieles witzig, und das irische Loser-Setting muss man schon sehr sympathisch finden. Aber letztlich bleibt der Film darüberhinaus auch extrem pointless, spätestens, wenn am Schluss der im Titel angedeutete Meta-Diskurs dem Zuschauer wild gestikulierend und "Hier bin ich!" rufend ins Gesicht springt. Es ist jetzt nicht so, dass Fitzgibbons Film etwas ganz Schlimmes wäre. Aber von dem behaupteten Festivalhighlight (laut Filmeinkäuferin Frederike) ist das auch ganz weit entfernt. Ja, ich gehe sogar noch etwas weiter: Von den bisher gesehenen sechs Filmen ist A FILM WITH ME IN IT die erste Enttäuschung.
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FFF'09: INFESTATION (Kyle Rankin, USA 2009)
Ich habe lange gehadert: Filme, die im Programmheft schon als Horrorkomödien angepriesen werden, sind auf dem Festival meist keine gute Idee. Infantiler Schwachfug auf der Leinwand wäre noch erträglich, wenn nicht gleichzeitig noch massiver Fremdscham für die hysterisch-aufgeplusterten Lacher im Publikum aufkäme. Schließlich bin ich aber der Empfehlung von Bate im cinefacts gefolgt, dass INFESTATION diese Gelüste nach hemmungslosem Nerd-Jerking samt Kettensägen-Closeups keineswegs befriedigt sondern tatsächlich eine echte Komödie zu erzählen hat. Und bereut habe ich es kein bißchen: INFESTATION begeht nie den Fehler, aus seinem geringen Budget Kapital schlagen zu wollen und mit den etwas schwachbrüstigen Effekten zu kokettieren, im Sinne von "schaut mal wie geil scheiße das aussieht". Stattdessen findet der Film seinen Humor in recht fein geschriebenen Dialogen, anstatt einfach nur auf die Slapstick-Buschtrommel zu klopfen. Auch verzichtet er dankenswerterweise auf jegliches Referenzgetue und andere Meta-Spielereien, sondern konzentriert sich auf die minimalistische Prämisse seines Plots. Dabei gewinnt INFESTATION noch zusätzlichen Reiz aus einer leicht ellipsenhaften Erzählung und kokettiert - wenn es denn kein Vorführungsfehler war - einmal sogar mit dem Grindhouse-Mythos der fehlenden Filmrolle. Aber allein, dass man eben nicht weiß, ob der sehr holprige Schnitt samt Auslassung zwischen Coopers Zögern, seinen Vater aus dem Kokon zu befreien, und dem Auftritt von Ray Wise als schrulliger Papa, beabsichtigt oder ein Vorführfehler war, spricht dafür, dass INFESTATION mit diesen Unzulänglichkeiten nicht kokettieren muss. Im Ergebnis ist das dann deutlich subtiler und angenehmer eingebaut als in Rodriguez' PLANET TERROR. Wie ich überhaupt Rankins Film gerade ob seiner ehrlichen Naivität für den sympathischeren GRINDHOUSE-Beitrag halte. Auch ohne Zombies und Splattereien.
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FFF'09: TELL-TALE (Michael Cuesta, Großbritannien/USA 2009)
Erster Film des Gurkenslots, wochentags um 15 Uhr. Und eigentlich nicht so recht Lust darauf gehabt, weil ich schon die behauptete Nähe der Geschichte zu Poes "Tell-Tale Heart" etwas plump und bemüht fand. Nebenbei ist sie das auch, stört letztlich aber nicht den recht schönen Film. Ästhetisch sieht man darin durchaus einiges vom Produzenten Tony Scott, wenn auch eher in Sachen Bildkadrierung und (übrigens: tolles) Spiel mit der Bildschärfe, als dass TELL-TALE dessen signature-Schnitte einsetzen würde. Spannend am Plot ist die Motivlage des Protagonisten, und seines implantierten Spenderherzens: Während er eigentlich nur endlich in Ruhe und gesund leben möchte, sucht das Herz Rache. Und zwar nicht nur an den Mördern seines ehemaligen Besitzers, sondern ein bißchen schon auch dafür, jetzt in einem neuen Körper gelandet zu sein. Lange steht in TELL-TALE im Vordergrund, dass das Herz Rache für die besondere Grausamkeit des Mordes sucht, aber nach und nach reicht das nicht mehr. Sein neuer Besitzer findet raus, dass er unfreiwilliger Kunde eines Organhandel-Rings wurde, der gezielt nach todkranken Spendern sucht und an ihnen dann den Lauf der Dinge beschleunigt. TELL-TALE erzählt somit auch eine Geschichte über utilitaristisches Töten: Immer wieder hört man die Rechtfertigung, der ursprüngliche Besitzer wäre ohnehin quasi schon tot gewesen, und man habe mit diesem Mord ein Leben gerettet. Cuestas Film stellt unverhohlen die Frage nach der Moralität dieses Menschenleben-Aufwiegens, ohne aber den Fehler zu begehen und den zynischen Zugang von vornherein zu verdammen. Letztlich führt er seinen Protagonisten sogar in einer sehr gefühlvoll gesetzten Schlusspointe im Kreis auf seine eigene Motivation zurück, und entlässt den Zuschauer in die Credits. Wenigstens das ist ziemlich großartig. Der Rest des Films ist zwar wohl nichts, was ich noch 12-14 Mal sehen werde, aber den nachmittäglichem Gurkenslot wird er sicher nicht gerecht.
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