Das Schwein, das Caruso so liebt.
Filmtagebuch, endlich mal wieder...
...wenigstens für Kurzeinträge will ich dieses Blog wieder verstärkt nutzen. Also gleich mal ein Schwung solcher Mini-Textchen, der sich über die letzten Wochen und Monate angesammelt hat:

FLUCHT AUS ALCATRAZ - Ganz toller, politischer Film, der seine Gefängnisinsel als faschistoiden Staat darstellt, in dem es Unterdrücker, Unterdrückte und nur einen wirklichen Außenseiter, beinahe Beobachter, gibt. Steht damit sehr subtil in der Tradition klassischer utopischer Reiseromane: Das unbekannte und -genannte Draußen schickt einen Forscher (Eastwood) aus - seine Ankunft wirkt so gar nicht wie die Ankunft eines Gefangenen - diese verwirklichte Utopie absoluter Ordnung und Disziplin, die ihre Inklusivität perfektioniert hat, zu erkunden. Und ebenso unbehelligt zieht er - am Willen der Wächter vorbei - wieder von dannen, nimmt ein paar mit, die sowieso nicht in die Utopie gepasst haben.

REIGN OF FIRE - Großartige Prämisse, und auch ganz viele tolle Einfälle, diese umzusetzen. Sehr fein sind die Sequenzen mit den Kindern der Burg, und natürlich die unzähligen Analogien zu Rittergeschichten und ihren Topoi. Im Grunde ist das ein Fantasyfilm in uraltem Gewand, bloß statt der großen Conan-Schwerter werden halt moderne Waffen geschwungen - und eine recht mächtige Axt. Ich kann nur einfach nicht den Finger darauf legen, warum der Film trotz vieler aufzählbarer Qualitäten einfach nicht wirklich funktioniert, nicht so fein ist, wie sich das alles in der Theorie liest.

LAYER CAKE - Hatte den irgendwie als typischen Tarantino-Klon abgespeichert, aber dank Daniel Craig Lust auf eine Zweitsichtung bekommen. Die hat sich gelohnt. Das Ding ist ein fast bierernstes hochgradig britisches Gangster-Ding, und schießt in einer tollen Schussgester sogar ganz wörtlich der Postmoderne und ihren coolen Tarantino-Gangstern in den Rücken.

SLEUTH - Hochinteressant, wie der film mit seiner eigenen Inszeniertheit umgeht, ebenso wie der Raumbegriff darin verhandelt wird. Und nett, dass Branagh sich dabei ästhetisch an Greenaway zu orientieren scheint.

GOOD LUCK CHUCK - Zum Kotzen.

THE INCREDIBLE HULK - Großartig. Zuletzt in JOHN RAMBO so eine Dynamik und Kinetik auf der Leinwand erlebt, begonnen bei der furiosen Exposition, bis zum krachenden Finale. Dabei auch noch ein spürbar kluges Drehbuch, das den Hulk zur tragischen Gestalt irgendwo zwischen Mr. Hyde und King Kong zeichnet. Nebenbei dann die üblichen Diskurse verhandelt, zwischen Geist und Körper, Wissenschaft und Militär, dabei ähnlich technizistisch wie der ebenfalls feine IRON MAN. Nervig nur die Zugeständnisse an die Comic-Geeks. Auch hier wieder: so hätte TRANSFORMERS aussehen können.

KOMM, SÜßER TOD - Clever, ästhetisch interessant, und kein bemühtes Anspruchskino. Wenn man es in Deutschland auch nur endlich schaffen würde, so unverkrampft tolle Filme zu drehen...

MAD MAX - Spannend, wie hier die Fahrzeuge fast komplett den Platz der Schusswaffen eingenommen haben. Bezeichnend: Am Frühstückstisch steht neben Maxens Teller ein Spielzeugauto, während der kleine Sohnemann im Wohnzimmer mit Papas Dienstwaffe spielt. Ich kann allerdings verstehen, wenn die Holprigkeit der Erzählung vielen Leuten den Zugang zu dem Film verwehrt. Über die ganzen homoerotischen Untertöne auf beiden Seiten ließen sich übrigens auch lange Texte schreiben.

JAMES BOND: MOONRAKER - Es ist geradezu dreist, was für eine völlig zusammenhang- und belanglose Abfolge schöner Frauen und mittelprächtiger Verfolgungsjagden man hier als Plot-Ersatz serviert bekommt. Die Albernheit an vielen Stellen sowie die zahlreichen kleinen Referenzen (STAR WARS, GALACTICA und FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR) machen schon Spaß, aber diese süffisante Selbstverliebtheit des Moore-Bonds ist schon ziemlich anstrengend.

JAMES BOND: THE SPY WHO LOVED ME - Sehr komisch, wenn man die AUSTIN POWERS-Filme im Hinterkopf hat. Angesichts dieser fast zwangsneurotischen Sprücheklopferei wirkt die Satire beinahe überflüssig, das ist ohnehin kaum noch zu überzeichnen. Davon abgesehen: Einer der interessanteren Bonds, auch wie hier die russisch-britische Zusammenarbeit beschworen wird in einer Zeit, in der sich der OW-Konflikt mal kurz etwas entspannte... Vieles ist auch hier beliebig, aber im Vergleich zum folgenden Totalausfall MOONRAKER wirkt das sehr rund.

ESCAPE FROM L.A. - Mir völlig unverständlich, dass der Film so unbeliebt ist. Liegt das wirklich nur an der Handvoll billiger Spezialeffekte? Selten eine in jeder Hinsicht so konsequent durchdachte Fortsetzung gesehen, schon in seiner grundsätzlichen Prämisse: Im Vorgänger wurde noch New York zur lost zone deklariert, weil ein Wiederaufbau gegen die ganze Kriminalität unrentabel erschien. Jetzt ist es L.A. - weil der Wiederaufbau nach dem Erdbeben unrentabel erschien. Ganz heimlich, still und leise jubelt uns Carpenter da die gesamte Zwischengeschichte seit dem ersten Film unter, lässt den umgebenden Faschismus sich auch materialistisch verwirklichen, und legt einer "Gefangenen" in LA die Worte in den Mund, dass das wahre Gefängnis doch außerhalb der Mauern liege... Großartig auch Plisskens finales Wortspiel, unübersetzbar: "Welcome to the human race", der Aufruf zu einem neuen race der Zivilisationen, diesmal mit gleichen Ausgangsbedingungen. Mittendrin Plissken, anachronistisch in beide Richtungen, Relikt der Vergangenheit wie auch Zukunftsbringer. Dass sein Rettungsteam-Vorgänger gekreuzigt aufgefunden wird, ist da nur am Rande lustig... ESCAPE FROM L.A. steckt so voller Ideen, Carpenter hätte wahrscheinlich auch drei Filme draus machen können!

SAW - Der ist dieses Mal dann komplett als Belanglosigkeit an mir vorbeigerieselt. Selbst die vermeintlich drastisch-schmutzige Ästhetik erschien mir im Vergleich zum ungleich besseren WAZ nur noch banal.

THE DARK KNIGHT - Ich muss mich der latenten Unentschlossenheit mancher Besucher anschließen. Was Nolan da abgeliefert hat, ist ein Fest (zum Beispiel) für Politik-Theoretiker, ist ästhetisch höchst spannend, klug, aktuell, und all das. Allerdings blieb mir das Eintauchen in den Film verwehrt, es wollte sich mir kein emotionaler Zugang eröffnen. Ich habe den Verdacht und die Hoffnung, dass die mittelprächtige deutsche Synchro die Schuld daran trägt, bin mir aber nicht so sicher.

TRUE CRIME - Ein weiterer dieser Eastwood-Filme, in der er seine klassische Heldenpersona dekonstruiert. Schön finde ich ja, dass er sich in TC mal endlich komplett und ausschließlich auf den Machismo seiner alten Charaktere stürzen konnte, ohne noch nebenbei deren faschistoide Züge ironisch brechen zu müssen. Dieser Diskurs ist daher natürlich auch sehr viel deutlicher ausformuliert, und so subtil hat sich Eastwood in keinem anderen Film mit seinem eigenen Alter auseinander gesetzt. Schade ist eigentlich nur der etwas plumpe Plot ringsherum, an dem sich die elterlichen Konflikte seines Protagonisten zwar spiegeln und brechen können, aber dennoch den Diskurs ziemlich in den Hintergrund drückt.

THE DEFENDER - Sehr bemerkenswert, wie Lundgren hier aus offensichtlich minimalem Budget einen klugen Anti-Actionfilm dreht, der zwar ständig auf ASSAULT ON PRECINCT 13 rekurriert, dessen Plot aber um eine ziemlich dekonstruierende Sicht auf seinen Helden erweitert. Lundgrens Charakter erfüllt zuerst jedes Klischee, Kriegsveteran, harter Hund, usw., aber kann seine Qualitäten im Film nie entfalten, sondern entlarvt diesen Typus als letztlich bloß denjenigen, der das Glück hat, eben nicht wie alle anderen irgendwann mal hinterrücks abgeknallt zu werden.

JUNO - In der Zweitsichtung noch offensichtlicher: Wie sich JUNO eigentlich gar nicht um die adoleszente Schwangerschaft dreht, sondern vielmehr um das ganz vorsichtige Tasten in das Erwachsen-Sein, das lediglich in dem Baby eine physische Manifestation findet.

LOLITA - Habe mich ja sehr lange (Jahre!) vor diesem Kubrick gedrückt, immer instinktiv ein eher dröges Moralstück erwartet. Stattdessen fand ich eine richtig vergnügte Komödie, die zumindest mir als ziemlich böser Kommentar auf zeitgenössische und großproduzierte Screwball-Comedies erschien.

WILD HOGS - Genau dann witzig, wenn die vier mittelalten Herren versuchen, mit popkulturellen Zitaten und Beispielen beim jeweiligen Gegenüber Pathos zu erzeugen und dabei einfach immer gegen die Wand fahren. Diese (wenigen) Szenen demontieren sehr nett die "er will's auf seine alten Tage nochmal wissen"-Romantik - in der sich der Film ansonsten aber ziemlich unverhohlen suhlt.

THE ROAD WARRIOR (MAD MAX 2) - Über die verschiedenen Gender-Diskurse in diesem Film ließen sich viele Essays schreiben. Dabei ist es gar nicht der Protagonist, der hier noch als maskuliner Stereotyp herhalten darf. Vielmehr nimmt sich Miller verschiedenste Gender-Klischees (männlich wie weiblich) vor und generiert um jedes einen eigenen Charakter. Max selbst ist inmitten dieser Gestalten dagegen geradezu blass und geschlechtslos.
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Filmtagebuch, gesammeltes
Ich habs schon wieder schleifenlassen, alles. Daher nur Vollständigkeitseinträge, damit ich guten Gewissens weitergucken kann... ;)

Die Rechnung ging nicht auf
(THE KILLING, Stanley Kubrick, USA 1956)
Zweiter Teil der Kubrick-Retro. Sehr fein, wie zeitlos Kubrick diesen Heist-Movie aufbaut, ganz viel davon funktioniert heute immer noch ohne Einschränkungen.

John Rambo
(RAMBO, Sylvester Stallone, USA / Deutschland 2008)
Toll. Wächst mit der Distanz und jeder weiteren Diskussion zum Film, die ich irgendwo verfolge. Ich wage die Behauptung: Stallones Bester!

Wege zum Ruhm
(PATHS OF GLORY, Stanley Kubrick, USA 1957)
Von den Kubricks, die ich bisher kenne, unter den beeindruckendsten. Die Kamerafahrt, parallel zum Angriff auf den Ant Hill, ist gewaltig.

21
(21, Robert Luketic, USA 2008)
Pressevorführung. Hoffnungslos überfrachtet mit Subtext-Anrissen, von denen kein einziger sorgfältig ausformuliert wird. Da ist wirklich jeder Konflikt-Stereotyp enthalten: eine Liebesgeschichte; Sohn <-> Ersatzvater; Sohn auf Abwegen <-> liebende Mutter; arm <-> reich; Intellekt <-> Physis; Technik <-> Mensch; alt <-> neu... kurzweilig, meinetwegen, aber sehr hohl.

10.000 BC
(10.000 BC, Roland Emmerich, USA / Neuseeland 2008)
Der krasse Gegensatz zu 21. Bei allem trashigen Charme - den will ich dem Film gar nicht absprechen - sehr sorgsam austariert zwischen Plot und Story, bedachtsam ausformuliert. Meiner Ansicht nach auch tatsächlich sehr bewusst auf die Einfachheit der Geschichte hinkonstruiert - und ich warte immer noch auf negative Stimmen, die dem Film etwas vorwerfen können, was nicht als Emmerichs bewusste und typische Handschrift verstanden werden kann.

No Country For Old Men
(NO COUNTRY FOR OLD MEN, Joel & Ethan Coen, USA 2007)
Sperrig. Ein Problem, das ich mit den ernsteren Coens (BLOOD SIMPLE, BARTON FINK, seltsamerweise nicht den von mir als sehr warm empfundenen MILLER'S CROSSING) ohnehin habe - oder zumindest hatte, als ich sie zuletzt sah. Während die rein handwerkliche Brillianz offensichtlich ist, finde ich keinen wirklichen Zugang zum Humor oder der Emotionalität der Geschichte.

8 Blickwinkel
(VANTAGE POINT, Pete Travis, USA 2008)
Im Grunde peinlich. Spannend, actionreich, doof. Eine knappe Million toller (wenn auch nicht sehr neuer) Ideen, deren konsequente Fortführung den Film zu einem ähnlich cleveren Konstrukt um die Medialität von Katastrophen hätte machen können wie CLOVERFIELD. Stattdessen gibts zum Schluss 20 Minuten Ballerei und Autofahren. Außerdem Betrug am vermeintlichen Konzept, wenn sich die Blickwinkel vor allem darin unterscheiden, dass man im jeweils nächsten einfach 10 Minuten länger als vorher dem Geschehen folgen darf. Hat mich sehr an 24 erinnert, auch in Hinblick auf meine Kritik daran.
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Der Tiger von New York (KILLER'S KISS, Stanley Kubrick, USA 1955)
imdb

Neuerlicher Versuch einer Stanley Kubrick-Werkschau. Dieses Mal habe ich mir zwei Mitstreiter ins Boot geholt, vielleicht scheitere ich dann ja nicht wieder so kläglich.

Ich hatte mir während des Films ein paar Sachen überlegt, die sich zu notieren lohnen. Lustigerweise fast alles Dinge, die ich bei der letzten Sichtung auch im (alten) FTB eintrug, ohne mich daran noch erinnern zu können. Schön, so eine Portion Konstanz bei sich entdecken zu können.

Anyway: Obwohl KILLER'S KISS nicht unbedingt problemlos gealtert ist - das beginnt bei der verrauschten und vernuschelten Tonspur (was natürlich auch an der DVD liegt) und endet bei irgendwie chaplinesk anmutenden Actionszenen. Auch der Plot ist eher Randerscheinung, das ganze dann in einem recht klassischen Noir-Rahmen samt Prolog des Protagonisten - alles nicht bemerkenswert.

Toll aber: Spiegel, zum Einen. Kubrick setzt sie hier als Mittel zum Kennenlernen, als Medium, in dem erste Intimität stattfindet. Wir haben unseren Boxer, und um seinen Spiegel herum all diese Fotos aus seiner Vergangenheit, und die Kamera fährt eines nach dem anderen ab. Später dann, in ihrem Appartment, sie liegt im Bett, die Kamera schwenkt nach rechts, zeigt das Spiegelbild der schlafenden Schönen, verweilt hier lange, nachdenklich.
Noch besser: Eine Inszenierung von zwei Welten. Die High-Society um ihren (bald ehemaligen) Liebhaber auf der einen und den mittelprächtig erfolgreichen Boxer auf der anderen Seite, stets getrennt durch filmische Barrieren. Da beobachtet der Boxer die Frau über die Straße hinweg, von Fenster zu Fenster, vom Dunklen ins Helle, von Stille in die Musik. Und umgekehrt sieht sie ihn zuerst im Fernsehen, etwas widerwillig in den Armen ihres Freundes, den Boxkampf beobachtend, und selbst in der filmischen Stille stehend, stattdessen umgeben von der Geräuschkulisse des Boxrings. Später dann verdeutlicht Kubrick diese Trennung nur noch mit dem Auseinanderführen von Bild und Ton, Ton der einen Szenerie untermalt die jeweils andere, schafft Dissonanzen und Kontraste. Im Ergebnis läuft das vielleicht alles noch nicht so rund, aber die Idee ist nichtsdestotrotz fein.

THE KILLING wird der nächste sein...
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Madagaskar (MADAGASCAR, Eric Darnell/Tom McGrath, USA 2005)
imdb

Ein wenig seltsam ist das schon, was man so zwischen den Zeilen finden kann: Da haben wir hyperzahme Tiere - ein Zebra, eine hypochondrierende Giraffe, eine Nilpferd-Diva und ein dermaßen entarteter Löwe, dass er sich seines eigenen Fleischkonsums nicht einmal mehr bewusst ist - im Manhattaner Zoo. Und dann später plötzlich die selben auf Madagaskar (oder sonstwo "in the wild"), wo es eigentlich allen ganz spitze geht, weil es Früchte und andere vegetarische Nahrung in Hülle und Fülle gibt. Nur der Löwe wird einfach nicht satt, und langsam von seinen Instinkten übermannt, muss sich mehrmals mühsam beherrschen, nicht über seine Freunde herzufallen. Das Vokabular, dessen sich dieser Animationsfilm bedient, stammt dabei: aus dem Horrorkino! Daher kennen wir es, wenn sich Freunde gegen Freunde wenden, sie plötzlich unberechenbar werden, und in den kurzen Momenten klaren Geistes ein "Leave now, I don't want to hurt you!" stammeln. Ob Vampirismus oder Besessenheit, die Topoi sind eindeutig. Bezeichnend, dass sich Alex (besagter Löwe), als er diesen Zustand erkennt, selbst ein karges Gehege errichtet, mit angespitzten Pfählen drumherum, was jetzt auch tatsächlich so aussieht, wie wir das Löwengehege im Zoo kennen: steinern, karg, ein großer Felsbrocken, einem Thron gleich, in der Mitte, eine künstliche Höhle - und ein bedrohlicher Zaun drumherum. Davor, in Manhattan, trafen sich die Tiere nach Dienstschluss noch zum gemütlichen Beisammensein an der gemeinsamen Ecke ihrer vier Gehege, die lediglich von hüfthohen Mäuerchen voneinander abgegrenzt waren. Die totale Vermenschlichung und Verharmlosung der Natur also, die Ent-Instinktisierung, wenn man so will. Ist der Löwe nur immer mit Steaks überfüttert (von denen er übrigens annimmt, dass sie auch auf irgendwelchen Bäumen wachsen), so kann er keiner Fliege was zu Leide tun. Erst fernab der Zivilisation dann wird er zu dem Raubtier, als dass ihn jeder kennt.

Es tut mir leid, und es mag auch etwas too much sein, einen augenscheinlichen Kinderfilm des Jahres 2005 als politisch-kolonialistische Propaganda zu lesen, aber die Konnotation drängt sich schon wieder so offensichtlich auf: (westliche) Zivilisation ist hier der klare Schlüssel zum friedlichen Miteinander, außerhalb dieser werden Menschen - pardon: Tiere - zum wilden Tier, unberechenbar und gefährlich. Die Gleichung (das Gleichnis, die Fabel!) ist klar formuliert, und in die Variablen lässt sich jetzt vom Kolonialismus des 19. Jahrhunderts über den Nahost-Konflikt bis hin zum Krieg gegen den Terror alles einsetzen - mit immer gleichem Ergebnis. Der Blickwinkel auf diese Welt ist geradezu unerhört einseitig, und die eindeutige Wahl der Schauplätze - New York hier, Afrika da - macht das nicht besser. Auch die plötzliche Demontage des vermeintlich exotisch-paradiesischem zur grausamen Wildnis - Zebra, Giraffe und Nilpferd beobachten, wie süße Nagetiere und Küken diversen Raubtieren zum Opfer fallen - ist peinlich durchschaubares Loblied auf die achievements menschlicher Zivilisation.

Versteht mich nicht falsch, großen Spaß hatte ich mit MADAGASKAR definitiv (Bitte, nicht die deutsche Synchro beachten! Danke). Der schale Beigeschmack bleibt aber. Indoktrination gerade der Jüngsten macht mir dann doch auch immer ein wenig Angst. Vorsichtig rezipiert ist MADAGASKAR toll. Unvorsichtig geschluckt dagegen aber irgendwie auch ein bißchen bedenklich.

PS: Großartig aber: Als die ausbrechenden (und militärisch organisierten) Pinguine ihr eigenes Paradies - die Antarktis - erreicht haben. Wir sehen die vier Vögel auf vereistem Boden, klein und verloren am unteren linken Bildrand. Um sie herum ein Schneesturm, statt idyllischer Landschaft. Eine Minute Schweigen, gelegentliches Flügelzucken, dann: "Well, this sucks." - Auch sie flacken zum Ende des Films in degenerierter Dekadenz am afrikanischen Strand.
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Auf brennendem Eis (ON DEADLY GROUND, Steven Seagal, USA 1994)
imdb

Das ist ganz schön haarsträubend. Ich mein, spaßig, klar. Zumindest weitgehend. Aber haarsträubend dennoch. Man stelle sich nur mal vor, wie Seagal diese schöne Traumvision inszeniert hat, und dabei zu seinen Handlangern "Boah, das wird bestimmt gut!" gesagt hat. Die verschiedenen in der imdb gelisteten Arbeitstitel des Films sprechen dann auch eine ganz deutliche Sprache, wie ernst Seagal diesen Ethno-Schnulz um seine Ballerei nimmt: "Spirit Warrior", "Rainbow Warrior", wasweißich. Apropos Ballerei: Die ist ja gar nicht mal so unansehnlich. Gerade den ganzen Explosionen zum Schluß lässt sich ein gewisser Schauwert nicht absprechen. Und der nachgeschobene Öko-Vortrag ist in seiner Naivität (und vor allem im Kontext eines doch eher brachialen Actionfilms) geradezu putzig. Es ist nur so unfassbar, was der Seagal für eine Knallcharge ist, wie er da mit stoischer Miene und verbissen-verkniffenem Gesichtsausdruck in seinem blitzblanken Lederponcho durch die Natur stakst. Ja, stakst. Schon ein normaler Spaziergang wirkt dermaßen unbeholfen, als müsste Steven bereits für den Bewegungsablauf alle schauspielerischen Register ziehen. Ich will hier auch gar nicht über bohrinselgroße Plotholes herziehen, aber zumindest die Sinnlosigkeit der ganzen kruden Randbegegnungen darf auch nicht ganz unerwähnt bleiben. Ich mein, Traumvision schön und gut: Wenn schon Ethno-Kitsch, dann doch bitte richtig. Dann mach halt aus deinem Helden auch bitte den geläuterten und feingeistigen, quasi-indianischen Umweltverteidiger! Stattdessen entgleitet ihm diese selbstbehauptete Rolle aber nach wenigen Minuten wieder, und er verfällt in den stereotypen Gestus eines ausrangierten und deswegen irgendwie ein bißchen beleidigten Actionhelden. Der peinliche - und, wie gesagt: unnötige - "Du bist der Auserwählte"-backplot hilft da nicht wirklich. Die messianische Auferstehungs-/Taufszene ist nur der Höhepunkt der Lächerlichkeit.

I honestly can't believe that anyone can make this movie and keep a straight face.
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The Telltale Heart (Leon Shamroy, USA 1928)
imdb

"Early Avant-Garde Film", Teil 3.

Beeindruckend, mit welch einfachen Mitteln Shamroy hier - zumindest in der ersten Hälfte - den Poe'schen Horror erzielt. "It's his eye I hate the most!" sagt eine Texttafel, und nur das sieht der Mörder dann auch, vor seiner Tat: Das entstellte und erblindete Auge des alten Mannes, durch einen Kaleidoskop-Effekt achtfach multipliziert, das Bild blitzt immer wieder hell auf, Schnitte auf den schreienden Mund des Mörders, des Opfers, zurück zum Auge... Über all dem direkt in den Film gekratzt die Schrift "KILL!", in krakeligen, knochigen Lettern; eine lange, beinahe schweißtreibende Montage. Diese eine kurze Sequenz erscheint mir als bahnbrechender Meilenstein des Horrorgenres, hier etablieren sich bereits Stilmittel, die heute noch Verwendung finden, und das Ergebnis ist so verstörend wie Poes delirierend-hypnotische Sprache.

(Ich lasse mal großzügig unter den Tisch fallen, dass der nachfolgende Kampf mit seinem Gewissen weit weniger beeindruckend ausfällt, als dieser furiose Anfang erhoffen lies.)
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The Life and Death of 9413, a Hollywood Extra (Robert Florey/Slavko Vorkapich, USA 1928)
imdb

"Early Avant-Garde Film", Teil 2.

Lustig, das am Rande. Dann: Schön, wie der Film zwar satirisch die doch recht harschen Mühlen der Hollywood'schen Starproduktion beschreibt, aber gleichzeitig nicht das System grundsätzlich verdammt. Schließlich wendet sich unser Held 9413 zu Beginn vertrauensvoll an einen "Mr. Almighty", und als er dann am Schluss in den Himmel kommt, sieht da alles auch gar nicht so viel anders aus als in Hollywood: Die "Casting / No Casting"-Schilder hängen überall rum und die himmlische Stadt ist in den gleichen Silhuetten dargestellt wie zuvor die irdische. Nur schreibt der Mr. Almighty, den er hier trifft, ihm keine Nummer mehr auf die Stirn - im Gegenteil, er löscht sie.

Richtig gelacht habe ich übrigens über 9413s Sterbeszene: Es fällt Licht in die Düsterkeit seines kargen Appartments, viel zu helles Licht, und er hält sich nur erschrocken und scheinbar unter Schmerzen beide Arme vors Gesicht. Das ist eine so offensichtliche (und: geniale!) Referenz an Murnaus NOSFERATU, allein dafür möchte ich die Herren Florey und Vorkapich posthum unbedingt umarmen
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Ballet Mécanique (Fernand Léger/Dudley Murphy, Frankreich 1924)
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Seminar zur "American Film History", Thema der Sitzung ist "Non-fictional Forms: Early Avant-Garde Film". Drei Filme standen auf dem Programm, dieses der erste.

Anstrengende 19 Minuten, soviel mal vorweg. Auffällig, über die Diskussion im Seminar selbst hinaus:
-Der kubistisch gezeichnete Charlie Chaplin, der den Film an Anfang und Ende einrahmt.
-Die schaukelnde Frau, als Rahmen im Rahmen, und als so ziemlich einziges Motiv, dessen Bewegung organischer Natur ist.

Léger scheint mir hier vor allem an Bewegungen interessiert, und unterscheidet dabei ziemlich raffiniert zwischen echten und virtuellen Bewegungen, mechanischem und rein iterativem Rhythmus. Und dann ist dieses BALLET MÉCANIQUE obendrein verdammt selbstreflexiv: Da konnotiert der eigens komponierte Soundtrack gleiche Töne und Instrumente (Sirenen) dank unterschiedlicher Bilder mit verschiedener Bedeutung; da wird Bewegung - sogar Tanz - erzeugt, wo keine ist, indem Beinprothesen per Stop-Motion zum Cancan gebracht werden; und da ist dann natürlich die Kamera, die sich gerne mal selbst filmt, in einer pendelnden Kugel.

Der Verweis im Vorwort der DVD auf Disneys FANTASIA ist übrigens absolut fantastisch.
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Batman Begins (Christopher Nolan, USA 2005)
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Vierte Sichtung, glaube ich, und keine davon habe ich bisher bereut. Lustig aber, wie es dazu kam: Großes Familienfest am Mittag, und mein 9-jähriger Neffe saß die ganze Zeit mit seinem Game Boy Advanced dabei. Ich als überzeugter Nerd war natürlich neidisch, mich hier mit Onkeln, Tanten und Großmüttern rumschlagen zu müssen, während er da friedlich und sicherlich auch recht genussvoll BATMAN BEGINS spielte. Naja, und da kam es dann irgendwie, dass ich ihm erklärte, was er in dem Spiel denn gerade überhaupt macht, wen er da virtuell verprügelt, und so weiter. Und bekam prompt ordentlich Lust, diesen Film nochmal anzuschauen.

An meiner Meinung hat sich seit dem letzten Text immer noch nichts geändert. Ich bin beinahe überrascht, dass BB auch nach mehrmaliger Sichtung so überhaupt nichts verliert, davon bin ich nun gar nicht ausgegangen. Ich muss aber sagen, dass neue Erkenntnisse langsam aber sicher auch ausbleiben. Nur zwei Kleinigkeiten:
-Der ganze erste Part mit den verschachtelten Rückblenden nach Asien, in die Kindheit und in die Jugend Bruce Waynes ist großartig strukturiert. Das hat Funk_Dogg in seinem Eintrag zu PRESTIGE schon geschrieben: Nolan kann sowas wie zur Zeit kein zweiter! Er braucht keine Überleitungen zwischen den Zeit- und Ortssprüngen, nicht einmal einen establishing shot, und trotzdem geht die Übersicht und der Durchblick wirklich nie verloren.
-Ganz subtil, heimlich, still und leise liefert uns Nolan hier ja auch den Grund, warum Wayne ausgerechnet dem Polizisten James Gordon soviel Vertrauen entgegenbringt, das war mir bisher immer entgangen: Als Bruce als kleiner Junge nach dem Mord an seinen Eltern in der Polizeistation sitzt, wählt Jim Gordon ganz zufällig, und ganz beiläufig, zu dessen Trost genau die Worte, die Papa Wayne im Sterben noch ausgehaucht hat. "It's okay." Simpel, und wenn der Film auf diesen Umstand irgendwann auch nochmal eingegangen wäre, dann wäre es wohl eher peinlich gewesen. Dadurch, dass das aber so schön beiläufig und unbemerkt geschieht, und das Fehlen einer Erklärung für Batmans Sympathie Gordon gegenüber auch nie sonderlich unplausibel erscheint, ist diese winzige Geste plötzlich ziemlich großartig.
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Perfect World (Clint Eastwood, USA 1993)
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PERFECT WORLD sah ich zuletzt, als er gerade in der Videothek erschienen war, also wohl so ca. 1994, mit elf oder zwölf Jahren. Das gilt schon fast als Erstsichtung, erinnern konnte ich mich jedenfalls an fast gar nichts mehr.
Ich hatte mir von diesem ersten Eastwood nach UNFORGIVEN ja - gerade auch in Einklang mit meiner marginalen Erinnerung - eher etwas weniger komplexes erwartet. Ok, dieses Rennen ist gerade gegen UNFORGIVEN nicht zu gewinnen, aber dennoch: Clint packt mal wieder für ihn typische Themen an, und reitet außerdem ordentlich gegen sein Image als Neokon-Hardliner, das er wohl vor allem seinen frühen Cowboy-Rollen sowie wenig sorgfältiger Dirty Harry-Exegese zu verdanken hat.

Mein Lieblings-Motiv bei Eastwood sind die Frauenrollen in dessen Filmen. Diesbezüglich ist PERFECT WORLD ausnahmsweise sogar mal fast eine Nullnummer, denn außer Laura Dern, die den Macho Clint fröhlich zum respektvollen Kollegen umformen darf. Da gibt es einen winzigen Moment, als Eastwood etwas zur weiteren Strategie gefragt wird, und er mit seiner Antwort ganz kurz zögert und sich zu Laura Dern umdreht, ein "good idea" von ihr, erst dann ein "yeah, do that" von ihm, beinahe unmerklich. Der Macho Clint Eastwood (der Schauspieler) will längst keiner mehr sein, das hat er ja auch in DIRTY HARRY recht unmissverständlich klargemacht, als er sich von seiner neuen Partnerin ganz ungeniert hat analysieren lassen. Oder viel früher schon, in GAUNTLET, wo der Bilderbuch-Chauvi Shockley an die toughe Prostituierte gerät, die ihm mehr als gewachsen ist... Das Thema ist nicht neu, bei Eastwood, aber es lässt ihm wohl keine Ruh. Kaum eines seiner Regiewerke kommt ohne dieses Motiv aus.

In PERFECT WORLD gibt es jetzt den flüchtigen Verbrecher Butch, der den kleinen Philipp als Geisel nimmt. Marshall Clint Eastwood war es - damals noch Sheriff - der dem damals noch 12-jährigen Butch eine vierjährige Jugendstrafe verschaffte, für Autodiebstahl. Er wollte ihn vor dessen Vater beschützen, war sich sicher, dass Butch im Gefängnis bessere Chancen als in dessen Obhut hätte, erzählt einmal, dass Butchs Vater seinen Sohn - und eigentlich so ziemlich jeden, der ihm in die Quere kam - regelmäßig verprügelte, und so weiter, eben alles, was einen Rabenvater so ausmacht. Jetzt ist es aber überraschend, wenn wir den aktuellen, erwachsenen Butch hören, wie er von seinem Vater spricht: durchaus liebevoll, in guter Erinnerung. Er trägt eine Postkarte mit sich herum, die ihm sein Vater schickte, und würde man Butch fragen, würde er seinen Vater wohl als guten Vater bezeichnen.
Es ist der Konflikt zwischen innerer und äußerer Ansicht auf Familienstrukturen, den Clint mit PERFECT WORLD in erster Linie thematisiert. Am Ende erahnt sein Charakter ja, dass Butch für den kleinen Philipp eine Vaterfigur geworden ist, eine durchweg positive sogar. Wohl sprachlos vor plötzlichen Zweifeln an seinem damaligen Urteil kann er schlimmeres nicht mehr verhindern.
Auch Butchs und Philipps Odysee durch Texas verbildlicht diesen Konflikt ständig: Da treffen sie auf eine biedere Familie im Kombi, und die Mutter schimpft plötzlich fürchterlich auf ihre beiden Kinder, als diese im neuen Auto ein Getränk verschütten. Bis der Vater die eingeschüchterten Kleinen tröstet, vom Fahrersitz aus, ein wenig unbeholfen, aber grundehrlich. "He's a good family man" sagt Butch etwas später zu Philipp. Und später dann, der schwarze Farm-Arbeiter Mack, der mit seiner Familie zusammenlebt, eigentlich sympathisch charakterisiert, aber schon das erste Mal, als er seinem kleinen Sohn beinahe beiläufig - und annähernd grundlos - eine Ohrfeige verpasst, fokussiert die Kamera wieder Butchs Gesicht; sucht nach einer Regung, einer Reaktion darin. Beim zweiten Vorfall bricht es aus Butch dann heraus, er schlägt Mack, bedroht ihn mit der Waffe, zwingt ihn, seinem Sohn zu sagen, dass er ihn liebt. Es ist plötzlich der kleine Philipp, der das nicht mehr mit ansehen kann, und auf Butch schießt. Das ist kein kindlicher Heldenmut, es ist einfach etwas, dass er sich bei Butch abgeschaut hat, als dieser unerbittlich-grimmig seinen Mitausbrecher erschoss, nachdem sich dieser an Philipp vergreifen wollte. Die Landstreicher-Moral von Butch hat Philipp übernommen, Erziehung im Schnelldurchgang. Auch Philipp weiß das. Und hat am Ende schon zum zweiten Mal in seinem Leben einen Vater verloren.
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