Das Schwein, das Caruso so liebt.
FFF'09: TELL-TALE (Michael Cuesta, Großbritannien/USA 2009)
Erster Film des Gurkenslots, wochentags um 15 Uhr. Und eigentlich nicht so recht Lust darauf gehabt, weil ich schon die behauptete Nähe der Geschichte zu Poes "Tell-Tale Heart" etwas plump und bemüht fand. Nebenbei ist sie das auch, stört letztlich aber nicht den recht schönen Film. Ästhetisch sieht man darin durchaus einiges vom Produzenten Tony Scott, wenn auch eher in Sachen Bildkadrierung und (übrigens: tolles) Spiel mit der Bildschärfe, als dass TELL-TALE dessen signature-Schnitte einsetzen würde. Spannend am Plot ist die Motivlage des Protagonisten, und seines implantierten Spenderherzens: Während er eigentlich nur endlich in Ruhe und gesund leben möchte, sucht das Herz Rache. Und zwar nicht nur an den Mördern seines ehemaligen Besitzers, sondern ein bißchen schon auch dafür, jetzt in einem neuen Körper gelandet zu sein. Lange steht in TELL-TALE im Vordergrund, dass das Herz Rache für die besondere Grausamkeit des Mordes sucht, aber nach und nach reicht das nicht mehr. Sein neuer Besitzer findet raus, dass er unfreiwilliger Kunde eines Organhandel-Rings wurde, der gezielt nach todkranken Spendern sucht und an ihnen dann den Lauf der Dinge beschleunigt. TELL-TALE erzählt somit auch eine Geschichte über utilitaristisches Töten: Immer wieder hört man die Rechtfertigung, der ursprüngliche Besitzer wäre ohnehin quasi schon tot gewesen, und man habe mit diesem Mord ein Leben gerettet. Cuestas Film stellt unverhohlen die Frage nach der Moralität dieses Menschenleben-Aufwiegens, ohne aber den Fehler zu begehen und den zynischen Zugang von vornherein zu verdammen. Letztlich führt er seinen Protagonisten sogar in einer sehr gefühlvoll gesetzten Schlusspointe im Kreis auf seine eigene Motivation zurück, und entlässt den Zuschauer in die Credits. Wenigstens das ist ziemlich großartig. Der Rest des Films ist zwar wohl nichts, was ich noch 12-14 Mal sehen werde, aber den nachmittäglichem Gurkenslot wird er sicher nicht gerecht.
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CABIN FEVER 2: SPRING FEVER (Ti West, USA 2009)
Teil eins habe ich in ganz guter Erinnerung, trotz der allgemeinen Abneigung, die dem Film wohl entgegengebracht wird. Teil zwei reiht sich da, wenigstens nach meiner Erinnerung, recht nahtlos ein. Natürlich ist das albern, natürlich ist vieles daran ein bißchen aufdringlich Meta. Aber im Gegensatz zu anderen Vertretern des schlimmsten aller Genres, der Splatterkomödie, gelingt es Ti West, seine eklige Matschgeschichte so charmant zu erzählen, dass selbst die allergröbsten Albernheiten nicht hemmungslose Fremdscham auslösen müssen. Das allein muss ich ihm schon hoch anrechnen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, dass ich das abjekte Gepansche stets nur mittelmäßig lustig fand. Beeindruckend fand ich vielmehr, wie oft es West gelang, neben ihrer Gimmickhaftigkeit auch tatsächlich das identitätsbedrohende Potential der Krankheit ins Bild zu rücken. Teil eins hatte eine Sequenz, in der ein Mädchen in Tränen aufgelöst ihren eigenen Verfall beobachten muss, ein Mädchen, das sich davor noch so viel auf ihr Äußeres eingebildet hat. Damals war es Eli Roth, der treffend schildern konnte, dass die Angst um das Leben nur eine von vielen ist. West macht, im wohl stärksten Moment des Films, das Gleiche, als er ein schwangeres Highschoolmädchen zeigt, das aus allen Poren blutend in der Schultoilette kauert und langsam realisiert, dass irgendwo in dem ganzen Blut wohl auch die Reste ihres ungeborenen Kindes liegen müssen.
CABIN FEVER 2 ist natürlich weitgehend regressiver Quatsch, aber als solcher dann doch auch erfrischend ehrlich. Eben weil er sein ursprüngliches Genre, den Horrorfilm, nicht beständig mit irgendwelchen Zoten verrät, sondern das Gespür dafür wahrt, dass die Horrorkomödie ursprünglich aus dem comic relief entstanden sein muss. Das Ergebnis ist sicherlich kein großartiger Film, aber doch eindrucksvoll - und zwar immer dann, wenn West seinem Publikum mit der nächsten Slapstick-Nummer wieder ein bißchen Eskapismus gewährt.
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CARRIERS (Alex & David Pastor, USA 2009)
Vorweg: Das ist der bestimmt beste Eröffnungsfilm, den ich selbst im siebten Dauerkartenjahr gesehen habe. Ein kurzer Blick in die Historie ergänzt: wohl der beste Eröffnungsfilm seit SCREAM 1997. Danach: Mir sind die vielen negativen Stimmen recht unbegreiflich. Seit ein paar Jahren geht das FFF doch schon den Weg, etwas weniger spaßigen Quark zu programmieren und dem ruhigeren Kino am Außenrand der Genres mehr Platz einzuräumen. Und CARRIERS ist wirklich kaum noch ein Genre-Film. Klar, Seuche, Postapokalypse, ein paar Motive sind schon da. Aber die Pastor-Brüder interessieren sich doch kaum dafür, eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern machen nur wenig Hehl um die Parabelhaftigkeit ihres Plots. Ein Beispiel, eine der letzten Einstellungen, eine Rückblende in die Kinderzeit: Zwei Jungs, auf der Veranda irgendeines Strandhauses, daran weht, leicht zerknüllt, eine amerikanische Fahne. Der eine der beiden Jungs streckt sich, will diese Fahne berühren, kommt gerade so nicht dran, gibt auf. CARRIERS legt viel Wert darauf, ein Amerika zu zeichnen, in dem letztlich das Sicherheitsbedürfnis jedes Einzelnen jede Menschlichkeit überschatten muss. Es geht CARRIERS auch nie um einen rationalen Umgang mit der Situation, um den Versuch, einen richtigen Weg durch dieses Amerika an den einst paradiesischen Strand zu finden. (Der Strand ist hier übrigens toll als Frontier-Topos gesetzt, in einem eigentlich erschlossenen Amerika, wo eben die Katastrophe, die ja auch eine menschliche Katastrophe ist, noch nicht angekommen ist.) Einmal finden die vier Reisenden einen Menschen, aufgeknüpft an einem Strommast, mit einem Schild um den Hals: "The Chinks brought it!", die behauptete asiatische Abstammung höchstens marginal zu erkennen. Später dann, ein Hotel und Golfclub, in dem sich eine Gruppe von Männern verbarrikadiert hat, die längst eine souveräne Gesellschaft gebildet haben, die am Außen und seinen Menschen nicht mehr interessiert ist. In CARRIERS prallen auch die Positionen der zwei reisenden Brüder aufeinander, von denen der eine zwar erst lange das zynische Gruppenarschloch sein darf, ehe er dann plötzlich die Hintergründe für seinen Zynismus offenbart. Er ist schließlich auch der einzige, der sein Sicherheitsbedürfnis aufgeben kann und die Prämisse des Überlebens um jeden Preis verwirft.
Dass CARRIERS nur an der Oberfläche eine postapokalyptische Geschichte erzählt, ist offensichtlich. Woanders wurde dem Film vorgeworfen, dass er keine vereinsamten Städte zeigt, sondern nur Wüstenlandschaften, die wohl auch schon vor der Seuche entsprechend menschenleer waren. Das mag zwar einerseits ökonomischen Randbedingungen geschuldet sein, andererseits verzichtet CARRIERS aber auch sehr explizit darauf, die Katastrophe einzuführen. Zu Beginn sehen wir die vier Twens fröhlich im Auto sitzen, Surfbretter auf dem Dach, eine Fahrt in den Urlaub eben. Das Amerika von CARRIERS ist immer auch das Amerika von heute, oder eben wenigstens Teile davon. Dabei schürt der Film weniger die Panik vor einer globalen Pandemie, sondern behauptet vielmehr, dass ihre Auswirkungen ohnehin längst eingetreten sind. Die Parallele, die Stefan bei Telepolis zu Cormac McCarthys "The Road" zieht, liegt nahe, wenn auch aus einem ganz anderen Grund als dem angegebenen: CARRIERS zeigt ein Amerika, das physisch vollkommen intakt ist, lediglich vordergründig seiner Bevölkerung, hintergründig seiner Menschlichkeit beraubt ist. Die Ästhetik von THE ROAD dagegen zielt darauf, die Zerstörung des Staates auch äußerlich kenntlich zu machen - mit zerstörten Gebäuden, verdorrten Wäldern und aschebedeckten Ebenen. Gemein haben beide Geschichten aber eine Erkenntnis: Mit der Katastrophe ist immer auch der Verlust der Heimat verbunden, die Reise wird zur unausweichlichen Folge. Sicherheit, das weiß auch der Vater in THE ROAD, gibt es nur unterwegs. Wenn die CARRIERS-Gruppe ihre infizierten Mitglieder verstoßen muss, dann bleiben diese immer zurück, bleiben stehen oder eben liegen, während die Gesunden weiterziehen.
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FFF'09: DISTRICT 9 (Neil Blomkamp, USA/Neuseeland 2009)
So, das Ding wird also bis sonstwo gelobt, oder erntet wenigstens den entsprechenden finanziellen Erfolg. Und, ja, das liegt schon auch irgendwie nahe... Eigentlich ist DISTRICT 9 auch einer dieser Filme, die erstmal in der imdb mit einem Wertungsdurchschnitt jenseits der 14 in die Top-Ten des Filmhimmels hochschnellen, ehe sich Ernüchterung breit macht. Das ist schon alles sehr flashy, was uns Blomkamp da präsentiert - kein Wunder, hat der Mann doch bereits "Science-Fiction-Erfahrung" mit dem TV-Spot zu HALO 3 gesammelt, wie das FFF-Programmheft stolz verkündet. Und genau, an den Effekten - also wohl das, was hier mit der Essenz von Science Fiction verwechselt wird - gibt es gar nichts auszusetzen. Und nicht nur die Viecher und Raumschiffe und Explosionen sind flashy, auch der mit zwölf bis achtzehn Holzhammern eingeprügelte (gar-nicht-so-)Sub-Text sticht ins Auge... Immerhin gehts hier um Rassismus, und Toleranz, und soziale Integration und all das, und dann kreischt auch noch der bissig-schwarzhumorige Tenor einer Pseudo-Doku entgegen, samt schrullig-witzigem Holländer-Bürokraten. Das sind schon eine ganze Menge Zutaten, die als crowd pleaser herhalten können, und da ist ja auch gar nichts sehr Verwerfliches daran.
Blöd ist dabei nur, dass in DISTRICT 9 alles nur Fassade ist: Die Effekte kaschieren mühsam eine ziemlich konfuse und verlaberte Erzählung. Die Mockumentary-Ästhetik hat Blomkamp etwa zur Filmhalbzeit ohnehin fast vergessen und liefert danach lediglich noch ein paar eingeblendete Nachrichten-Laufbänder und Interview-Schnippsel als Alibi. Überhaupt, das Atemlose, was DISTRICT 9 zu Beginn noch - wenn auch etwas verwirrend - antreibt, weicht einem etwas trägen Kintopp, das ständig bemüht scheint, sich selbst zu überbieten, ohne aber wirklich die eine zündende Idee dafür zu haben. Oder vielmehr: Ohne sich für die eine zündende Idee entscheiden zu können. Da spielt dann auch der Rassismus-"Sub"text hinein. Einerseits ist Blomkamps Film so schmerzhaft klar und unzweideutig, dass man sich ob des geringen Zutrauens, dass der Regisseur in die kognitiven und interpretativen Fähigkeiten seines Publikums hegt, ein wenig beleidigt fühlen könnte. Andererseits hackt DISTRICT 9 so unverblümt auf den nigerianischen - eine Nationalität, die bestimmt 30 Mal betont wird - Slum-Gangs herum, dass es schon einen sehr schalen Beigeschmack hinterlässt. Diese Nigerianer sind nämlich unzweifelhaft die am wenigsten menschlichen in dem recht zynischen Szenario, selbst der multinationale Waffenkonzern, der gern ein bißchen an unschuldigen Aliens herumschnippelt, kommt besser weg. Sie morden und betrügen und nutzen die Armut der Alien-Asylanten schamlos für ihren eigenen Profit aus, sind dabei auch noch himmelschreiend dumm und barbarisch (kaufen lastwagenweise Waffen, die sie überhaupt nicht benutzen können, aber Hauptsache Waffen), und machen sich in skurril-heidnischen Ritualen sogar kannibalistisch über das Fleisch von Mensch und Alien her. Es ist fast ein wenig so, als wollte Blomkamp zwar etwas von Toleranz und Gleichberechtigung erzählen, dabei aber schon mal relativierend einschränken, dass man das auch nicht vollkommen bedingungslos übertreiben müsse.
Das ist nur ein Punkt von vielen, an denen DISTRICT 9 mindestens befremdet. Auch die Figurenkonstellation wäre eigentlich interessant - der nerdige Fascho-Bürokrat, der körperlich zum Außerirdischen und geistig zum Revoluzzer und Ethikmenschen mutiert, hat im kompromisslosen Söldnerkapitän eigentlich genau den Gegenpart, der in einem herkömmlichen Alien-Invasion-Film zum Schluss die Erde retten würde. Unser lustiger Dutch-Southafrican aber hilft dem netten und ein bißchen kuhäugigen Alien Christopher Johnson samt dessen Sohn zur Flucht, auf dass dieser Hilfe von daheim holen kann. Selbst der Showdown zwischen Bürokrat und Söldner ist inszeniert wie der Final Fight im zünftigen Sci-Fi-Actioner, der unerschütterliche Held gegen eine hoffnungslos überlegene Technologie/Kreatur, nur dass es hier der unsympathische Protagonist des Films ist, der im Alien-Kampfanzug gegen den Haudrauf antritt.
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Es wird Zeit, ein Ende zu finden. DISTRICT 9 macht es einem sehr leicht, schnell Spaß zu haben, auch wenn ich persönlich glaube, dass 20 Minuten weniger keineswegs geschadet hätten. Daran ist jedenfalls nichts auszusetzen. Ärgerlicher ist, dass DISTRICT 9 beinahe dreist damit hausieren geht, wie clever und originell er doch eigentlich sei, obwohl er tatsächlich kaum mehr als inkonsequentes Stückwerk zu bieten hat. Das würde mich jetzt ja auch nicht stören, wenn sich über diese Erkenntnis wenigstens ein einigermaßener Konsens durchsetzen könnte. So provoziert der Film allerdings eher meinen Trotz. DISTRICT 9 ist einer dieser Filme, der viel zu schnell auf irgendwelchen Lieblingsfilmlisten mit dem Vermerk "intelligenter Blockbuster mit sozialem Anspruch" landet, meist darauf platziert von Leuten, die einfach noch viel zu wenig gesehen haben, was sie aber in grandioser Fehl-Selbsteinschätzung ignorieren und trotzdem entsprechen objektivierend urteilen. Da muss ich alter Hater einfach vehement widersprechen und DISTRICT 9 aktiv nicht mögen. Tut mir leid.

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F.LM-Podcast
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