Das Schwein, das Caruso so liebt.
Perfect World (Clint Eastwood, USA 1993)
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PERFECT WORLD sah ich zuletzt, als er gerade in der Videothek erschienen war, also wohl so ca. 1994, mit elf oder zwölf Jahren. Das gilt schon fast als Erstsichtung, erinnern konnte ich mich jedenfalls an fast gar nichts mehr.
Ich hatte mir von diesem ersten Eastwood nach UNFORGIVEN ja - gerade auch in Einklang mit meiner marginalen Erinnerung - eher etwas weniger komplexes erwartet. Ok, dieses Rennen ist gerade gegen UNFORGIVEN nicht zu gewinnen, aber dennoch: Clint packt mal wieder für ihn typische Themen an, und reitet außerdem ordentlich gegen sein Image als Neokon-Hardliner, das er wohl vor allem seinen frühen Cowboy-Rollen sowie wenig sorgfältiger Dirty Harry-Exegese zu verdanken hat.

Mein Lieblings-Motiv bei Eastwood sind die Frauenrollen in dessen Filmen. Diesbezüglich ist PERFECT WORLD ausnahmsweise sogar mal fast eine Nullnummer, denn außer Laura Dern, die den Macho Clint fröhlich zum respektvollen Kollegen umformen darf. Da gibt es einen winzigen Moment, als Eastwood etwas zur weiteren Strategie gefragt wird, und er mit seiner Antwort ganz kurz zögert und sich zu Laura Dern umdreht, ein "good idea" von ihr, erst dann ein "yeah, do that" von ihm, beinahe unmerklich. Der Macho Clint Eastwood (der Schauspieler) will längst keiner mehr sein, das hat er ja auch in DIRTY HARRY recht unmissverständlich klargemacht, als er sich von seiner neuen Partnerin ganz ungeniert hat analysieren lassen. Oder viel früher schon, in GAUNTLET, wo der Bilderbuch-Chauvi Shockley an die toughe Prostituierte gerät, die ihm mehr als gewachsen ist... Das Thema ist nicht neu, bei Eastwood, aber es lässt ihm wohl keine Ruh. Kaum eines seiner Regiewerke kommt ohne dieses Motiv aus.

In PERFECT WORLD gibt es jetzt den flüchtigen Verbrecher Butch, der den kleinen Philipp als Geisel nimmt. Marshall Clint Eastwood war es - damals noch Sheriff - der dem damals noch 12-jährigen Butch eine vierjährige Jugendstrafe verschaffte, für Autodiebstahl. Er wollte ihn vor dessen Vater beschützen, war sich sicher, dass Butch im Gefängnis bessere Chancen als in dessen Obhut hätte, erzählt einmal, dass Butchs Vater seinen Sohn - und eigentlich so ziemlich jeden, der ihm in die Quere kam - regelmäßig verprügelte, und so weiter, eben alles, was einen Rabenvater so ausmacht. Jetzt ist es aber überraschend, wenn wir den aktuellen, erwachsenen Butch hören, wie er von seinem Vater spricht: durchaus liebevoll, in guter Erinnerung. Er trägt eine Postkarte mit sich herum, die ihm sein Vater schickte, und würde man Butch fragen, würde er seinen Vater wohl als guten Vater bezeichnen.
Es ist der Konflikt zwischen innerer und äußerer Ansicht auf Familienstrukturen, den Clint mit PERFECT WORLD in erster Linie thematisiert. Am Ende erahnt sein Charakter ja, dass Butch für den kleinen Philipp eine Vaterfigur geworden ist, eine durchweg positive sogar. Wohl sprachlos vor plötzlichen Zweifeln an seinem damaligen Urteil kann er schlimmeres nicht mehr verhindern.
Auch Butchs und Philipps Odysee durch Texas verbildlicht diesen Konflikt ständig: Da treffen sie auf eine biedere Familie im Kombi, und die Mutter schimpft plötzlich fürchterlich auf ihre beiden Kinder, als diese im neuen Auto ein Getränk verschütten. Bis der Vater die eingeschüchterten Kleinen tröstet, vom Fahrersitz aus, ein wenig unbeholfen, aber grundehrlich. "He's a good family man" sagt Butch etwas später zu Philipp. Und später dann, der schwarze Farm-Arbeiter Mack, der mit seiner Familie zusammenlebt, eigentlich sympathisch charakterisiert, aber schon das erste Mal, als er seinem kleinen Sohn beinahe beiläufig - und annähernd grundlos - eine Ohrfeige verpasst, fokussiert die Kamera wieder Butchs Gesicht; sucht nach einer Regung, einer Reaktion darin. Beim zweiten Vorfall bricht es aus Butch dann heraus, er schlägt Mack, bedroht ihn mit der Waffe, zwingt ihn, seinem Sohn zu sagen, dass er ihn liebt. Es ist plötzlich der kleine Philipp, der das nicht mehr mit ansehen kann, und auf Butch schießt. Das ist kein kindlicher Heldenmut, es ist einfach etwas, dass er sich bei Butch abgeschaut hat, als dieser unerbittlich-grimmig seinen Mitausbrecher erschoss, nachdem sich dieser an Philipp vergreifen wollte. Die Landstreicher-Moral von Butch hat Philipp übernommen, Erziehung im Schnelldurchgang. Auch Philipp weiß das. Und hat am Ende schon zum zweiten Mal in seinem Leben einen Vater verloren.
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S.P.L. (Wilson Yip, Macau/Hong Kong 2005)
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Zweite Sichtung, dieses Mal daheim, nach dem FFF'06 in Köln.

Hmmm. Zu den grandiosen Kampfszenen gibt es gar nicht viel zu sagen. Mir war Sammo Hung vor diesem Film kaum ein Begriff, aber recht bemerkenswert ist dieser sympathische Dicke durchaus, doch. Was nach Abzug der Action bleibt ist vor allem eines: absolut überdurchschnittlicher Heroic Bloodshed. Immerhin, Yip ersetzt das Woo'sche Pathos durch viele parallel konstruierte Geschichten von jungen und alten, fürsorglichen und nachlässigen, richtigen und Ersatz-Vätern. Da bekommt jeder Akteur einen entsprechenden Hintergrund spendiert, und in seiner vielschichtigen und vor allem durchaus subtilen Codierung erinnert das Ergebnis so gar nicht mehr an das typische Hong Kong-Kino, sondern sieht viel eher nach genau der Liga cleveren Hollywood-Mainstreams aus, die mir persönlich ohnehin am Allerliebsten ist. Mitten in all diesen Vätern gibt es dann übrigens noch den einen, der einfach nur Sohn zu sein scheint, so unbeschwert-nachdenklich durch den Film streift (dabei äußerst effektiv Bösewichte vermöbelt), und dann zum Schluss vielleicht nicht das tragischste, wohl aber das unerwartetste Opfer wird - immerhin ist er ja angetreten, um eine Vaterrolle zu übernehmen. Stattdessen steht dann am Schluss nur noch der - man muss fast sagen: ehemalige - Vater der Protagonisten am Strand, seine Ersatztochter als einziges Kind übriggeblieben, und sie ist genauso unbeschwert, wie sie es sein sollte...

Ehe ich jetzt ins metaphysische Interpretieren gerate, höre ich besser auf. Es stellt sich wohl ein wenig die Frage, inwieweit dieses Familienmotiv in S.P.L. nicht eher über- denn lediglich ausgereizt wurde. Ob die Personenkonstellation des Films bis ins Letzte tatsächlich schlüssig bliebe, würde man sie detailliert untersuchen, wage ich nicht zu beurteilen. Funktionieren tut S.P.L. aber allemal, auch bei der zweiten Sichtung.
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The Mechanik (Dolph Lundgren, Deutschland/USA 2005)
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Bemerkenswert, wie direkt und straight der gute Dolph an die Sache rangeht. Da wird in nur ganz wenigen Minuten dem Helden eine wunderbare Motivation gebastelt, die - trotz ihrer Reißbretthaftigkeit - gerade dank ihrer Knappheit sich so schön stimmig in den Film einfügt. Der "schon wieder einer, der seine Familie rächen will"-Effekt stellt sich kaum ein, weil eben keiner auf diesem Topos rumtrampelt, sondern es eben nur pflichtbewusst im erweiterten Vorspann erwähnt wird. Ähnlich fix geht es dann ja auch weiter, als Dolph - inzwischen "Mechanik" in den USA - dann angeworben wird, das Mädel zu retten. "This is not about revenge, this is about retirement!" hätte er zu seligen PUNISHER-Zeiten vielleicht gesagt, und trotzdem: das übliche Handlungselement des Überredet-werden-wollens ist mit seinen ca. 2 Dialogzeilen auch eher knapp abgehakt.
Ich wiederhole mich: Das Bemerkenswerte an diesem Film sind gar nicht einmal so sehr die schön physischen Actionszenen. Es sind schon gar nicht die Landschafts- und Stadtaufnahmen, die "ich wurde an Originalschauplätzen gedreht!" zu schreien scheinen. Es ist die Knappheit, mit der Lundgren zu Werke geht. Diese unbarmherzige Schnörkellosigkeit und der völlige Verzicht auf jedwede Ambition, mehr als nur eine gelungene Schema F-Anwendung zu sein, ist in letzter Konsequenz schon wieder außergewöhnlich, und beinahe sogar selbstreferentiell. Ideen hat der MECHANIK nämlich einfach nicht nötig.

Notiz am Rande: Es gab da zwischen mir und meinen Sichtungsgenossen die interessante Hypothese, dass Dolph gar kein Schauspieler ist, sondern in Wahrheit früher mal russischer Elitesoldat war. Auch schön, das seltsame "k" am Ende des Filmtitels, wohl einerseits um ihn von der Räuberpistole mit Bronson abzusetzen, andererseits gewiss aber auch, um des Dolphs herben Akzent schriftlich zu visualisieren.
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