Das Schwein, das Caruso so liebt.
Madagaskar (MADAGASCAR, Eric Darnell/Tom McGrath, USA 2005)
imdb

Ein wenig seltsam ist das schon, was man so zwischen den Zeilen finden kann: Da haben wir hyperzahme Tiere - ein Zebra, eine hypochondrierende Giraffe, eine Nilpferd-Diva und ein dermaßen entarteter Löwe, dass er sich seines eigenen Fleischkonsums nicht einmal mehr bewusst ist - im Manhattaner Zoo. Und dann später plötzlich die selben auf Madagaskar (oder sonstwo "in the wild"), wo es eigentlich allen ganz spitze geht, weil es Früchte und andere vegetarische Nahrung in Hülle und Fülle gibt. Nur der Löwe wird einfach nicht satt, und langsam von seinen Instinkten übermannt, muss sich mehrmals mühsam beherrschen, nicht über seine Freunde herzufallen. Das Vokabular, dessen sich dieser Animationsfilm bedient, stammt dabei: aus dem Horrorkino! Daher kennen wir es, wenn sich Freunde gegen Freunde wenden, sie plötzlich unberechenbar werden, und in den kurzen Momenten klaren Geistes ein "Leave now, I don't want to hurt you!" stammeln. Ob Vampirismus oder Besessenheit, die Topoi sind eindeutig. Bezeichnend, dass sich Alex (besagter Löwe), als er diesen Zustand erkennt, selbst ein karges Gehege errichtet, mit angespitzten Pfählen drumherum, was jetzt auch tatsächlich so aussieht, wie wir das Löwengehege im Zoo kennen: steinern, karg, ein großer Felsbrocken, einem Thron gleich, in der Mitte, eine künstliche Höhle - und ein bedrohlicher Zaun drumherum. Davor, in Manhattan, trafen sich die Tiere nach Dienstschluss noch zum gemütlichen Beisammensein an der gemeinsamen Ecke ihrer vier Gehege, die lediglich von hüfthohen Mäuerchen voneinander abgegrenzt waren. Die totale Vermenschlichung und Verharmlosung der Natur also, die Ent-Instinktisierung, wenn man so will. Ist der Löwe nur immer mit Steaks überfüttert (von denen er übrigens annimmt, dass sie auch auf irgendwelchen Bäumen wachsen), so kann er keiner Fliege was zu Leide tun. Erst fernab der Zivilisation dann wird er zu dem Raubtier, als dass ihn jeder kennt.

Es tut mir leid, und es mag auch etwas too much sein, einen augenscheinlichen Kinderfilm des Jahres 2005 als politisch-kolonialistische Propaganda zu lesen, aber die Konnotation drängt sich schon wieder so offensichtlich auf: (westliche) Zivilisation ist hier der klare Schlüssel zum friedlichen Miteinander, außerhalb dieser werden Menschen - pardon: Tiere - zum wilden Tier, unberechenbar und gefährlich. Die Gleichung (das Gleichnis, die Fabel!) ist klar formuliert, und in die Variablen lässt sich jetzt vom Kolonialismus des 19. Jahrhunderts über den Nahost-Konflikt bis hin zum Krieg gegen den Terror alles einsetzen - mit immer gleichem Ergebnis. Der Blickwinkel auf diese Welt ist geradezu unerhört einseitig, und die eindeutige Wahl der Schauplätze - New York hier, Afrika da - macht das nicht besser. Auch die plötzliche Demontage des vermeintlich exotisch-paradiesischem zur grausamen Wildnis - Zebra, Giraffe und Nilpferd beobachten, wie süße Nagetiere und Küken diversen Raubtieren zum Opfer fallen - ist peinlich durchschaubares Loblied auf die achievements menschlicher Zivilisation.

Versteht mich nicht falsch, großen Spaß hatte ich mit MADAGASKAR definitiv (Bitte, nicht die deutsche Synchro beachten! Danke). Der schale Beigeschmack bleibt aber. Indoktrination gerade der Jüngsten macht mir dann doch auch immer ein wenig Angst. Vorsichtig rezipiert ist MADAGASKAR toll. Unvorsichtig geschluckt dagegen aber irgendwie auch ein bißchen bedenklich.

PS: Großartig aber: Als die ausbrechenden (und militärisch organisierten) Pinguine ihr eigenes Paradies - die Antarktis - erreicht haben. Wir sehen die vier Vögel auf vereistem Boden, klein und verloren am unteren linken Bildrand. Um sie herum ein Schneesturm, statt idyllischer Landschaft. Eine Minute Schweigen, gelegentliches Flügelzucken, dann: "Well, this sucks." - Auch sie flacken zum Ende des Films in degenerierter Dekadenz am afrikanischen Strand.
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